Die Zeit vor Weihnachten liebte ich immer besonders. All die Vorbereitungen die eigentlich dazu da waren um das Fest besonders werden zu lassen; das schmücken der Fenster, das Backen, die kleinen Aufmerksamkeiten füreinander und die Musik. Auch heute noch kann ich nicht genug kriegen von den Weihnachtsliedern und selbst wenn ich sie wochenlang jeden Tag im Geschäft ununterbrochen hörte und ihre Reihenfolge, ja sogar die Tonart in der sie begannen auswendig kannte, liebte ich sie am hl. Abend noch immer. Und ich liebte auch all die Erzählungen und Begebenheiten die sich rund um Weihnachten ereignet hatten, wenn der Geist des Weihnachtsfestes, die Liebe, das Herz der Menschen berührt hatte. Immer wieder erlebte ich die Veränderungen, wenn ein Herz liebevoll berührt wurde und immer wieder bemühte ich mich, die Menschen dazu hinzuführen, ihnen zu zeigen, dass es noch die Liebe gab und was für ein wunderbares Gefühl es war, Liebe zu schenken.
In meiner Kindheit hielten wir zu Hause Adventfeiern ab. Über dem Küchentisch hing ein riesiger Adventkranz. Bei Kerzenlicht saßen wir zusammen und sangen Weihnachtslieder. Meine Mutter begleitete uns auf der Gitarre und später spielte mein Bruder auf der Blockflöte dazu. Jeder von der Familie hatte einen kleinen Teller mit Weihnachtskeksen und Schokolade, die er verspeisen durfte während die Eltern uns etwas vorlasen. Ich hatte diese Tradition beibehalten. Unsere Adventkränze waren aus Platzmangel nicht so groß, aber sonst war es wie damals. Als mir die guten Geschichten für Weihnachten ausgingen, begann ich eigene Erlebnisse aufzuschreiben und als ich schon einiges beisammen hatte wollte ich die Bewohner unserer Anlage an einer Weihnachtsfeier teilhaben lassen. Ich wollte ihnen eine Freude machen. Dass diese Veranstaltung nicht in unserem Wohnzimmer stattfinden konnte war mir klar. Ich musste einen geeigneten Raum finden.
Die Wohnungen waren etwa alle gleich angelegt. Es war kein Wohnraum zu finden der groß genug gewesen wäre. Ich erinnerte mich, daß neben unserem Fahrradkeller ein großer leerer Raum gewesen war. Als ich mit der Hausmeisterin darüber sprach, teilte sie mir mit, dass dieser schon lange nicht mehr existierte. Ein Mieter hatte sich den Raum abgeteilt und eine Hobbywerkstatt eingerichtet. Der einzige Platz der noch übrig blieb war die Waschküche im Haus vis a vis. „Weihnachtsfeier in der Waschküche?“ Ich schüttelte zweifelnd den Kopf. “Wie soll da eine Weihnachtsstimmung aufkommen mit dem riesigen Kobel vor Augen!“ stöhnte ich. „Häng einfach ein großes Leintuch drüber.“ sagte mein Mann „Und wenn dann die Lichter aus sind und nur die Kerzen brennen, wenn du deine Geschichten und Gedichte bringst, wenn ihr gemeinsam singt und der Geist der Weihnachten in eure Herzen kommt, dann werdet ihr nicht mehr daran denken, dass ihr in der Waschküche seid.“
Ein tiefer Seufzer kam aus meiner Brust. „Hoffentlich hast du Recht.“ Ich schob alle meine Zweifel beiseite und ging ans Werk.
Der Einsatz der ganzen Familie war von Nöten. Mein Sohn machte die Einladungen am Computer und hängte sie in den Stiegenhäusern auf. Mit meiner Tochter fertigten wir Bilder mit denen wir die kahlen Wände in der Waschküche verzieren wollten, wir buken jede Menge Kekse und mein Mann musste das Geld verdienen, um das Material zu kaufen. Wir gingen von Haus zu Haus und von Tür zu Tür um die Leute einzuladen. Ich wollte eigentlich auch, dass sie etwas dazu beitrugen, sei es dass sie etwas erzählten, vorlasen oder wie auch immer, aber niemand sollte sich dazu verpflichtet fühlen; ich freute mich auch, wenn sie nur da waren. Es gab viele Unentschlossene, viele Absagen, aber auch einige Interessierte. Außer Heidi gab es niemanden der an dem Programm mitwirken wollte. Die Gestaltung des Abends würde an mir hängen bleiben, aber das machte mir nichts aus. „Wie viele auch immer kommen mögen“ sagte ich „sie werden einen unvergesslichen Abend verbringen“
Eine Waschküche ist zum Wäschewaschen vorgesehen und nicht als Kulturraum Es gab keine Sitzbänke und auch keine Heizung. Auf meinen Einladungen hatte ich gebeten eine Sitzgelegenheit mit zu nehmen und ein Trinkgefäß, denn auch davon hatte ich nicht genug für alle. Am Tag unserer Weihnachtsfeier brachte ich in aller Frühe unseren Radiator in die Waschküche und steckte ihn an. Am Vormittag wurde noch gewaschen. Ich hatte die Frau angefleht den Radiator angesteckt zu lassen, damit es am Abend nicht so kalt war. Aber vergebens. Sie wollte nicht kommen und hatte auch kein Interesse an den Stromkosten die der Radiator verursachte und auf 55 Parteien aufgeteilt würde beteiligt zu werden. Als ich am Nachmittag von der Arbeit kam und sah, dass der Heizkörper abgesteckt war, war ich sehr enttäuscht und auch verärgert. „Wie kann man nur so kleinlich sein und den anderen alles vermiesen wollen!“ war ich entrüstet. Ich hatte gute Lust die Feier abzusagen, aber was konnten die anderen dafür. Ich holte tief Luft. „So! Und jetzt erst Recht!“ So leicht wollte ich mich nicht klein kriegen lassen.
Wir holten noch das Heizgebläse aus unserer Wohnung. Dann begannen wir die Waschküche zu dekorieren. Nägel durften wir keine einschlagen, aber wir nützten jedes vorhandene Häkchen um Nylonschnüre kreuz und quer zu spannen. Darüber hängte ich meine goldenen Sterne, die Weihnachtsgirlanden und Lametta. Die riesige Waschmaschine verschwand unter einem weißen Leintuch. Obenauf stellte ich eine Kerze und eine Schale mit Obst. Mit Stecknadeln befestigte ich kleine Tannenzweige auf dem Tuch. Die hölzernen Waschtröge wurden umgestülpt, mit Tischtüchern zugedeckt und das Büffet darauf angerichtet. Ich höhlte Äpfel aus und steckte Kerzen und Reisig hinein. Allmählich wurde es warm. Mit meinem Sohn trug ich den riesigen Einkochtopf, der nun mit duftendem Tee gefüllt war in den Keller und stellte ihn mit einem Schöpfer zum Büffet. Heidi brachte einen kleinen Tisch auf dem sie ihre Zither aufstellte und auch ihre Gitarre hatte sie mitgebracht. Ich hatte sämtliche Noten von Weihnachtsliedern kopiert damit alle mitsingen konnten. Und dann kamen die Leute, mit Sessel und Häferl gerüstet setzten sie sich zu uns.
Wir begannen pünktlich. Das elektrische Licht erlosch. Heidi spielte auf der Zither und gemeinsam sangen wir „Es wird scho glei dumpa“. Die goldenen Sterne über unseren Köpfen schaukelten lautlos. Die Flammen der Kerzen spiegelten sich darin und brachten sie zum Leuchten. Als es die erste Weihnachtsgeschichte gab war es muks mäuschen still. Die Kinder saßen mit großen staunenden Gesichtern da und die Erwachsenen hatten rote Wangen und glänzende Augen. Wie ich sie so alle anblickte, merkte ich, dass der Geist der Weihnacht sie gefangen hatte, und dass sie vergessen hatten, dass sie in der Waschküche waren…..
Doris Pikal